Wednesday, May 22, 2013

Sauberkeitserziehung: Die besten Tipps vom Kinderurologen



Der Sommer naht (doch, doch!) und viele Eltern hoffen darauf, ihre Kleinen im Garten oder am Strand ohne Windel herumlaufen lassen zu können, um so das ganz große Projekt zu unterstützen: Die Sauberkeitserziehung. Wie es streßfrei für beide Seiten gelingen kann, darüber spreche ich mit dem erfahrenen Facharzt für Urologie,  Dr. Sidi Muctar, der sich unter anderem auf Kinderurologie spezialisiert hat. 


Dr. med. Sidi Muctar ist der Leiter des Rheinischen Kontinenz und Beckenbodenzentrums und der Kinderurologie am St. Josefhospital in Krefeld.

Herr Dr. Muctar, lassen wir mal sämtliche Anatomie und medizinische Hintergründe beiseite. Sagen Sie mir einfach, was ich machen muss, wenn ich mein Kind schnellstmöglich sauber kriegen möchte! Was ist ihr Nummer 1 Profi -Tipp?


Abwarten und Trinken.


Das klingt für mich nicht nach einem besonders effektiven Training!


Nein, und genau das ist der Punkt. Es gibt kein effektives Training. Sie können den Prozess des Sauberwerdens nicht beschleunigen.


Oh, jetzt bin ich aber enttäuscht- und 90% meiner Leser vermutlich auch. Wir Eltern haben doch auch das Sitzen, Laufen, Sprechen mit den Kindern trainiert, das schaffen wir doch auch mit dem Pinkeln!


Sie können Ihr Kind natürlich unterstützen, aber der Impuls muss aus dem Kind selber kommen und das ist eine Frage der physiologischen Reifung. Ich erkläre das den Eltern meiner Patienten immer gerne am Beispiel eines Hauses:


Vom Erdgeschoss führt eine Treppe in die erste Etage, wo der Hausherr sitzt und über die Abläufe seines Hauses wacht. Um zum Hausherren vorgelassen zu werden, muss man am Wächter vorbei, der am oberen Ende der Treppe den Weg versperrt.


Dieser Wächter ist das Unterbewusstsein. Der Hausherr ist das Gehirn. 


Um den Wächter zu aktivieren, sich an den Hausherren zu wenden und ihm sozusagen mitzuteilen, dass die Blase voll ist, muss die Verbindung zwischen Unterbewusstsein und Bewusstsein reifen. Das geschieht in der Regel irgendwann bis zum 5. Lebensjahr. Bis zu diesem Zeitpunkt gibt es keinen Grund zur Unruhe.  

Etwas anderes gilt nur, wenn Sie feststellen, dass ihr Kind tatsächlich schon die physiologische Reife hat, also spürt, dass es auf die Toilette muss, aber trotzdem immer in die Hose macht. In solchen Fällen macht eine urologische Untersuchung Sinn.


Manche Kinder werden aber schon viel früher trocken. Als Eltern hat man so einen Zeitpunkt zwischen dem 2. Und 3. Lebensjahr im Kopf. Warum ist die Zeitspanne beim Sauberwerden so groß, während alle Kinder relativ gleichzeitig lernen, das Köpfchen zu heben, zu sitzen, zu laufen?


Das weiß man nicht genau. Fest steht aber, dass man diese Entwicklungsschritte nicht vergleichen kann. Das Skelett und dessen Entwicklung ist viel simpler als die Funktion der Blase. Aber das ist ein guter Punkt: Eltern denken immer, ihr Kind muss etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt können. In einem so sensiblen Punkt wie der Sauberkeitserziehung ist aber jeder Druck wirklich kontraproduktiv. Haben Sie Geduld. 


Das ist nicht immer leicht. Mein Sohn ist seit etwa drei Wochen weitgehend trocken, aber es geht auch noch häufig etwas in die Hose. Ich ärgere mich dann schon ein wenig.


Warum? Als Ihr Kind sitzen gelernt hat, saß es auch nicht gleich den ganzen Tag. Vielleicht vergingen sogar einige Tage, an denen es sich gar nicht hingesetzt hat. Haben Sie sich da auch geärgert?


Zugegebenermaßen nein. Aber ich habe manchmal den Eindruck, dass er das absichtlich macht oder aus purer Faulheit. Kurz nachdem er verneint hat, Pipi zu müssen, ist die ganze Hose voll und er steht inmitten einer Pfütze im Wohnzimmer.


Auch das ist Teil des Prozesses. Kinder probieren einfach alles aus. Auch das In-die-Hose-machen. Man muss schließlich erforschen, ob sich das wirklich so blöd anfühlt, wie Mama gesagt hat. Haben Sie Geduld.


Darf ich dann wenigstens schimpfen?


Schimpfen würde ich nicht. Sie können sagen, iiih, die nasse Hose fühlt sich aber eklig an`, oder etwas in der Art, aber das merkt Ihr Kind schließlich auch selber. Wichtig ist, dass kein Druck entsteht und der Gang auf die Toilette für das Kind zu einer lästigen und unangenehmen Pflicht wird. Vertrauen Sie Ihrem Kind, lassen Sie es ein bisschen probieren und das Projekt auch zwischendurch mal wieder auf Eis legen. Das wird schon.


Mütter, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, erzählen gerne, dass alle Kinder dort schon mit 1-2 Jahren trocken waren. Wie haben die das denn gemacht?


Aus ärztlicher Sicht wird man diese Erfolgsstories wohl relativieren müssen. Natürlich kann man mit viel Druck ein Kind konditionieren, aber zum einen muss man sagen, dass dieser Druck dann anders kompensiert wird, zum anderen werden hier vermutlich viele nasse Hosen unter den Teppich gekehrt.


Sie haben gesagt, dass ich mein Kind unterstützen kann. Wie?


Bevor Ihr Kind trocken wird, können Sie Vorbild sein. Kinder lernen durch Nachahmung. Sie wollen tun, was Ihre Eltern tun, und können, was die können. Wenn Ihr Kind sieht, dass Sie regelmäßig auf die Toilette gehen und keine Windel tragen, wird es Ihr Kind irgendwann auch wollen. Sie können das kommunikativ begleiten und auch ein bisschen ritualisieren, z.B. immer auf die Toilette gehen, wenn Sie nach Hause kommen.


Wenn Ihr Kind schon die ersten Schritte in Richtung Sauberkeit gemacht hat, können Sie es loben, aber übertreiben Sie es nicht. Nach ein paar Tagen sollten Sie nicht mehr jedes Mal vor Begeisterung ausflippen, sondern es als Normalität behandeln.


Darf ich mein Kind dazu anhalten, auf die Toilette zu gehen, bevor wir zum Beispiel das Haus verlassen? Wissen Sie, Kindersitze sind zwar teuer, aber schwer zu reinigen. Außerdem mag ich mein Auto!


Fragen Sie Ihr Kind, aber wenn es nein sagt, zwingen Sie es nicht. Ihr Kind muss erst lernen, wie sich eine volle Blase anfühlt. Es weiß ja nicht, dass es überhaupt eine Blase hat, die sich durch Trinken anfüllt und dann entleert werden muss. 
Wenn Sie ihr Kind regelmäßig prophylaktisch aufs Klo setzen, wird es dieses Gefühl nicht entwickeln können. 

Zurück zu dem Beispiel mit dem Haus bedeutet das, dass das langsame Füllen der Blase vergleichbar ist, mit dem Gang auf der Treppe. Stufe für Stufe bis hinauf zum Wächter. Die Treppe steht dabei für die Nerven, die dem Wächter bei entsprechender Füllung der Blase ein Signal geben. Und erst bei einer bestimmten Füllung kann der Wächter das Signal dem Hausherren weitergeben.


Bei Bettnässern übrigens funktioniert dieser Wächter, also das Unterbewusstsein noch nicht richtig.


Apropos: Tagsüber klappt es bei meinem Sohn schon sehr gut, aber die Vorstellung, ihn mitten in der Nacht umzuziehen und das Bett neu beziehen zu müssen hat mich bislang davon abgehalten, auch nachts bei ihm auf die Windel zu verzichten. Woher weiß ich, dass ich die Nachtwindel weglassen kann?


Wenn die Windel morgens ungefähr zwei Wochen lang trocken war, können Sie es versuchen. Aber seien Sie nicht enttäuscht, wenn Sie gelegentlich doch nächtliche Reinigungsarbeiten durchführen müssen. Nachts ist ja nur unser Wächter, also nur das Unterbewusstsein wach. Da ist es viel schwieriger als tagsüber. Bis zum 5. Lebensjahr ist es wie gesagt normal, wenn Kinder nicht oder nur tagsüber trocken sind. Bleiben Sie geduldig.


Wir erwarten in den nächsten Wochen unser zweites Kind. Ich habe schon gehört, dass manche Kinder, die schon trocken waren, dann plötzlich wieder eine Windel brauchen.


Ja, das ist gut möglich. 
Schon weniger einschneidende Erlebnisse als die Geburt eines Geschwisterkindes können dazu führen, dass Ihr Kind wieder eine Windel braucht. Es reichen schon schlechte Träume, oder irgendwelche „Kleinigkeiten“, die wir Erwachsene gar nicht wahrnehmen. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir von Kindern sprechen. Von kleinen Kindern. Ihr Zweijähriger mag Ihnen schon so groß vorkommen, aber hat doch noch so wenige Möglichkeiten, seine Gefühle zu verpacken und seinen Eltern dann auch noch mitzuteilen. In die Hose oder sogar ins Bett zu machen sind da sehr effektive Mittel, Aufmerksamkeit zu bekommen, weil es für die Eltern sehr zeitaufwändig ist. 


Aber es macht die Eltern doch eher wütend. Da würde ich ja eher ein schönes Kritzelbild malen.


Ihr Kind will Sie sicher nicht ärgern. Bleiben Sie geduldig, machen Sie einfach sauber und wenn nötig, trösten Sie ihr Kind. Hatte ich schon gesagt, dass Geduld und Vertrauen die wichtigsten Mittel sind?


Ich glaube schon! Eine praktische Frage hab ich ja noch. Wenn mein Sohn Pipi gemacht hat: Mit Klopapier saubermachen oder reicht das berühmte Schütteln oder Klopfen?


Das überlasse ich ganz Ihnen. Aus medizinischer Sicht brauchen Sie kein Klopapier, weil die männliche Harnröhre viel länger ist als die weibliche, also keine Gefahr von bakteriellen Infekten besteht.


So, ich müsste jetzt ganz dringend mal Pipi machen. Vielen Dank für das Gespräch.

Habt Ihr noch Fragen? Dr. Muctar ist freundlicherweise bereit, auch Einzelfragen zu beantworten. Einfach als Kommentar hinterlassen oder per Mail an mich (Mia.Sommer1978@googlemail.com). Ich werde Eure Fragen sammeln und weitergeben.

Eure Mia


Der Mucki, eine von Dr. Muctar erfundene und selbstgezeichnete Clownsfigur, hilft den kleinen Patienten, ihre Scheu abzulegen und spielerisch trocken zu werden.



mariasimoneidejhs

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